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Impfanweisungen aus der Pharmaindustrie?

Arzt mit Spritze Arzt mit Spritze
Impf-Entscheider arbeiten mit Pharmaherstellern zusammen, die Impfstoffe herstellen
Quelle: chromorange
Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut wird argwöhnisch beäugt – von vielen Seiten. So fordern Kritiker mehr Transparenz – beispielsweise, wie einzelne Mitglieder der Kommission mit Herstellern von Impfstoffen zusammenarbeiten. Die Entscheider meinen aber, das müsse so sein.

Professor Heinz-Harald Abholz ist kein Impfgegner. Er plädiert für eine "offensive Impfpolitik" und "die Umsetzung eines hohen Grades von Durchimpfung". Dennoch gießt der geschäftsführende Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin der Uni Düsseldorf in seinem Beitrag für die Februar-Ausgabe der "Zeitschrift für Allgemeinmedizin" Wasser auf die Mühlen derer, die seit geraumer Zeit der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut (RKI) ans Zeug wollen.

Der 1972 gegründeten Stiko gehören 16 ehrenamtlich tätige Experten an. Sie werden vom Bundesministerium für Gesundheit für jeweils drei Jahre berufen und treffen sich zwei Mal jährlich. Die erste Sitzung im neuen Jahr fand am Dienstag statt. Über Inhalte, Themen oder Kontroversen darf kein Kommissionsmitglied öffentlich sprechen - sehr zum Ärger der Kritiker. Aufgabe der Stiko ist es, auf wissenschaftlicher Grundlage Empfehlungen für Schutzimpfungen in Deutschland vorzubereiten. In der Regel werden sie nur einmal im Jahr - Mitte Juli - veröffentlicht.

Krankenkassen müssen zahlen

Dabei geht es auch um viel Geld. Denn die Impfungen, die die Stiko empfiehlt, müssen von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. In den vergangenen Jahren hat sich die Liste der empfohlenen Impfungen stetig verlängert. Bis zum 17. Lebensjahr werden zurzeit Impfungen gegen 14 Krankheiten empfohlen. Allein der neueste Schutz vor Humanen Papillomaviren (HPV) für junge Mädchen schlägt voraussichtlich mit 150 Millionen Euro pro Jahrgang zu Buche. Die Kosten für die Kinderschutz-Impfungen gegen Windpocken, Pneumokokken und Menigokokken - sie wurden 2004 und 2006 in den Stiko-Katalog aufgenommen - werden auf rund 240 Millionen Euro pro Jahr beziffert.

Der Unmut der Kritiker bezieht sich vor allem auf die "Blickdichte" der Stiko. Abholz bezweifelt deshalb ihre Seriosität: "In einer in Bezug auf die Aufklärung über die wahren oder zusätzlichen Zielsetzungen von gesundheitlichen Maßnahmen zunehmend kritischer werdenden Öffentlichkeit muss die Seriosität der Stiko wiederhergestellt oder die Institution muss gewechselt werden." Ansonsten, so Abholz, würden "zunehmend deren Empfehlungen als industriegesteuert abgetan und ab irgendeinem Punkte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet", also "sinnvolle und fern von Industrieinteressen begründete Empfehlungen nicht mehr ernst genommen". Der Mediziner höre "Derartiges zunehmend häufiger".

Möglicherweise befangen

Mit dieser Sichtweise steht Abholz nicht allein da. Den Stein ins Rollen brachte im vergangenen Jahr ein Bericht im pharmakritischen "Arznei-Telegramm" (AT). Dort war die Rede von "inakzeptabler Intransparenz". Die AT-Redaktion führte als "Beispiele für mögliche Befangenheit" detailliert Zuwendungen auf, die einzelne Stiko-Mitglieder von Impfstoffherstellern für Vorträge, Einladungen zu Kongressen oder für Beratertätigkeiten empfangen haben.

"Verquickungen mit der Industrie lassen sich bei fast allen Kommissionsmitgliedern feststellen", bilanzierte AT und forderte mehr "Transparenz bei der Offenlegung von Interessenkonflikten und auch hinsichtlich des Verlaufs der Beratungen selbst", gerade auch angesichts "der beträchtlichen Kosten, die Impfungen verursachen".

"Formale Probleme bei der Abstimmung"

Die Bundesregierung versprach angesichts wachsender Kritik, das RKI werde bis zum Jahresende 2007 eine Liste veröffentlichen, auf der jedes einzelne Stiko-Mitglied Auskunft über seine Tätigkeiten geben muss. Auf der RKI-Website ist diese Liste aber bislang nicht zu finden. RKI-Sprecher Günther Dettweiler betont auf Anfrage von WELT ONLINE, es habe "formale Probleme bei der Abstimmung" gegeben, was zu der zeitlichen Verzögerung führe. Voraussichtlich in "ein bis zwei Wochen" sei die Liste aber unter der Rubrik "Impfen" einsehbar.

Die Liste war auch Thema der gestrigen Sitzung. So viel immerhin verriet Professor Ulrich Heininger, stellvertretender Stiko-Vorsitzender und Leiter der Abteilung für Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie am Universitätskinderspital beider Basel. Er findet die Veröffentlichung "richtig und gut". Zugleich verteidigt er gegenüber WELT ONLINE die Nähe der Stiko-Mitglieder zu den Impfstoffherstellern: "Wir haben in der Stiko fast alle Kontakte zur Pharmaindustrie, vor allem im akademischen Bereich ist das üblich. Die Forschung findet ja auch gemeinsam mit der Industrie statt, das ist so gewollt und gewünscht, es gibt bei uns keine staatliche Impfstoffproduktion."

Pharmafirma finanziert Internetseite

Dieselbe Haltung vertritt wohl auch Stiko-Mitglied Professor Fred Zepp, Direktor der Universitätskinderklinik Mainz. Er steht der Website www.gesundes-kind.de als Berater zur Seite. Zepps Mainzer Klinikkollege Markus Knuf gibt dort Tipps rund ums Impfen. In einem "Vorwort" erklärt Zepp, dass "die finanziellen Mittel für das Projekt von der Firma GSK ( GlaxoSmithKline, Anm. d. Red. ) bereitgestellt" werden. "Auf den medizinischen Inhalt dieser Internetseite nimmt GSK jedoch keinen Einfluss."

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Der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser von der AT-Redaktion hat dafür wenig Verständnis: "Ich finde es erschreckend, dass bei der Stiko auch heute noch nicht realisiert wird, in welch sensiblem Umfeld die Kommission arbeitet." Becker-Brüser prangert vor allem das Beispiel Schmitt an: Der langjährige Stiko-Vorsitzende Professor Heinz-Josef Schmitt habe im Juni 2006 einen mit 10 000 Euro dotierten Preis "zur Förderung des Impfgedankens" vom Impfstoffhersteller Sanofi Pasteur MSD erhalten. Die Firma produziert den HPV-Impfstoff Gardasil, dessen Zulassung im Oktober 2006 erfolgte und den die Stiko bereits im März 2007 als Regelimpfung für junge Mädchen empfahl. "Den Todesstoß für die Glaubwürdigkeit der Stiko gab Schmitt, als er anschließend die Kommission vorzeitig verließ und jetzt beim Impfstoffhersteller Novartis Vaccines in Lohn und Brot steht", schimpft Becker-Brüser.

"Es ist mehr und mehr Usus geworden, dass Preise von Sponsoren finanziert werden. Daran ist grundsätzlich nichts Anrüchiges", erklärte Stiko-Vorsitzender Professor Friedrich Hofmann der "Süddeutschen Zeitung". Auch sein Stellvertreter kann die Aufregung nicht verstehen. Heininger kontert gegenüber dieser Zeitung: "Die Impfgegner haben meiner Auffassung nach das Interesse, die Stiko und damit den Impfgedanken zu schädigen."

Doch Kritiker Abholz möchte ja gerade einen "hohen Grad von Durchimpfung". Aber durch die Intransparenz der Stiko sieht er die Impfbereitschaft in der Bevölkerung gefährdet - dann nämlich, wenn "die Öffentlichkeit den Eindruck hat, dass es hier nicht nur um das Impfen, sondern auch um das Geldverdienen geht".

Mehr Informationen hält die Homepage des Robert-Koch-Instituts bereit.

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