#DPA

Lehnt dpa die Realität eigentlich ab, oder hält sie sie nur für nicht notwendig?

von , 30.7.12

 

Es ist nicht, was ich im Innern bin, was mich definiert – sondern das, was ich tue.

Batman

Die Deutsche Presse-Agentur dpa ist eine Art offizielle Institution in der Art, wie auch die Tagesschau eine Institution ist: an Glaubwürdigkeit gemeinhin nicht zu überbieten. Sie ist so etwas wie die Sparkasse unter den Produzenten journalistischer Inhalte: wenig funky – man erwartet dort keine Texte mit literarischem Anspruch –, aber grundsolide in der Recherche und genau in der Umsetzung. Die dpa ist die Art Agentur, auf deren Informationen sich deutsche Diplomaten im Ausland verlassen. Offenbar ist das keine so gute Idee, wie ich bisher gedacht hätte. Denn die dpa macht nicht nur Fehler (wie jeder andere auch), sie macht Fehler an politisch entscheidenden Stellen: da, wo sie der offiziellen politischen Propaganda gut in den Kram passen.

In der vergangenen Woche berichtete die dpa über das Gutachten einer Gruppe von 17 prominenten internationalen Ökonomen (darunter aktuelle und ehemalige deutsche „Wirtschaftsweise“), die vor den extremen Gefahren der aktuellen Euro-Krise in starken Worten warnten und Lösungsvorschläge präsentierten. Tatsächlich übernahmen praktisch alle Medien den dpa-Bericht (zum Beispiel sowohl bild.de als auch faz.net, was als Kombination ohnehin schon verstörend ist). Zunächst las offenbar kein Journalist außerhalb der dpa den Bericht dieser „Euro Task Force“ des Institute for New Economic Thinking (INET) tatsächlich durch, was einigermaßen fatal ist, denn der dpa-Bericht enthielt einen Fehler an einer entscheidenden Stelle:

Eine langfristige Transferunion lehnen sie […] ebenso ab wie Eurobonds.

Dieser Satz ist selbst für einen Amateur wie mich hier überraschend, wenn man sich auch nur eine Sekunde lang mit der Zusammensetzung der Gruppe beschäftigt. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ist ein Mitglied, der schon lange vertritt, dass Eurobonds notwendig sind. Patrick Artus sitzt der Kommission vor, der seit Monaten, wenn nicht Jahren, erklärt, eine Transferunion sei völlig unausweichlich und eine gemeinsame Haftung durch das Target-System längst Realität. Und wenn man den Text dann liest, stellt man fest, dass das Gegenteil dessen, was dpa behauptet, darin steht: Eine kurzfristige Vergemeinschaftung der Schulden wird als schnelle Maßnahme ausdrücklich gefordert, auch Werkzeuge, die man durchaus als Eurobonds bezeichnen könnte, einzig die langfristige Einführung solcher Bonds halten in der Gruppe offenbar nicht alle für zwingend, deshalb hat man sich auf die Formulierung geeinigt, Eurobands seien „nicht notwendig“. Ablehnung ist etwas völlig anderes.

Das ist ein schwerer Fehler. Stefan Niggemeier hat ihn für den Bildblog nachrecherchiert und dokumentiert; die dpa erklärt, er basiere auf ihrer „Interpretation“ des Textes – was bizarr ist. Der Text ist eindeutig (und Peter Bofinger hat ihn dem Bildblog noch einmal bestätigt). Interessant ist, dass erstens die FAZ den Fehler am nächsten Tag in einem von einem Wirtschaftsredakteur gezeichneten Artikel wiederholt – und dann auch noch die Bundesregierung in ihrer Reaktion auf die Forderungen der Euro-Task-Force anmerkt, wenigstens sei man sich bei den Eurobonds einig. Die Fehler der dpa pflanzen sich fort, und zwar in einer Weise, die nicht einfach der Bundesregierung nützt, sondern auch ihre längst von den Realitäten entkoppelte Ideologie unterstützt. Und damit kommen wir endlich zurück zu Batman. Zumindest gleich.

Die Frage ist: Kann es sein, dass hier ein dpa-Mitarbeiter einfach nur einen Fehler gemacht hat? Das ist schwer vorstellbar. Dafür ist der Text der Task Force zu eindeutig, dafür sind auch die Positionen zumindest einiger ihrer Mitglieder zu bekannt. Und dpa selbst nennt ihre Berichterstattung eine „Interpretation“ – warum auch immer die Information, jemand halte etwas für „nicht notwendig“, interpretiert werden müsste. Es wirkt natürlich schräg, dass ein Wirtschaftsredakteur der FAZ noch einen Artikel über die Empfehlungen der Task Force schreibt, ohne ihn zu lesen, aber ich habe ja schon beschrieben, welche Glaubwürdigkeit dpa-Meldungen normalerweise haben. Natürlich muss gerade einem Wirtschaftsredakteur auffallen, was da passiert, aber das Versagen ist zumindest mit Faulheit oder Zeitmangel erklärbar. Und dass unsere Bundesregierung Stellung nimmt zu Texten, die sie nicht gelesen hat, ist … vielleicht Absicht? Immerhin sieht sich die Bundesregierung so in einem Kernstück ihrer Wirtschaftspolitik bestätigt, das sich ansonsten ausschließlich auf Ideologie gründet.

An welche Mittel Menschen wirklich glauben, sieht man daran, worauf sie setzen, wenn es für sie eng wird. Das ist so beim ewigen Kampf zwischen Schulmedizin und Homöopathie, aber eben auch bei pro- oder antizyklischer Wirtschaftspolitik. Die deutsche Bundesregierung hat (in der großen Koalition) unter Merkel eindeutig antizyklisch auf die Wirtschaftskrise reagiert (z.B. mit zwei Konjunkturpaketen, Kurzarbeitergeld und der Abwrackprämie), also „auf Pump“ die Nachfrage belebt. Das hat gut funktioniert. Jetzt verlangt sie im Brustton der Überzeugung von allen anderen in Europa das Gegenteil, nämlich im Abschwung zu sparen.

Das hat, für jeden offensichtlich, nicht funktioniert. Nirgendwo. Es treibt ganze Völker ins Elend. Es gibt keinen aufgrund von Zahlen und Fakten argumentierbaren Grund mehr, an diesem Weg festzuhalten – aber eben eine nicht auf Tatsachen basierende Überzeugung, eine Ideologie. Sie wird gern mit intuitiv verständlichen Phrasen erklärt, wie „Schulden kann man nicht mit Schulden bekämpfen“ und „wenn der Staat Schulden macht ist das unsozial, weil es die Probleme der Gegenwart auf zukünftige Generation abwälzt“. Beides ist Blödsinn, aber es klingt vernünftig, wenn man fälschlicherweise versucht, die Erfahrungen eines Privathaushaltes mit denen eines Staatshaushaltes zu vergleichen (was Wähler offenbar oft genug tun). Die prozyklische Wirtschaftspolitik, verbunden mit der neoliberalen Ideologie des „schlanken“ Staates, nützt vor allem denen, die den Staat nicht brauchen, weil sie sich besseres leisten können. Auftritt FDP.

Im Zuge der Neoliberalisierung der deutschen Politik ist es den daran interessierten Kreisen in beeindruckender Art und Weise gelungen, falsche Vorstellungen zu vermeintlichem Allgemeinwissen werden zu lassen. Dazu gehört nicht zuletzt, dass Eurobonds schlecht für Deutschland wären, weil sie Deutschland überfordern würden. Die Wahrheit ist genau anders: Ein Zusammenbrechen des Euroraumes würde Deutschland überfordern, wie es durch das momentane System mit nationalstaatlichen Anleihen sehr viel wahrscheinlicher ist, weil einzelne Staaten mörderische Zinsen zahlen müssen und so zahlungsunfähig werden könnten. Die einzigen, denen das momentane System nützt, sind diejenigen, die die hohen Zinsen erhalten: Banken und diejenigen, denen sie gehören (und denen seit Jahren von den Steuerzahlern regelmäßig der Arsch gerettet wird).

All das den Wählern zu erklären, nimmt sich selbst bei SPD und Grünen schon gar kein Politiker mehr vor. Auch dort haben sie vor der vermeintlichen Dummheit der Wähler kapituliert. Anstatt mit echten Informationen um Vertrauen zu werben, anstatt mit echten Lösungen den Euroraum wieder in die starke Stellung zu bringen, die ihm zusteht (ein Euroraum mit gemeinschaftlichen Schulden hätte nach Aussage der Ratingagenturen selbstverständlich ein AAA-Rating und keinerlei Probleme, seine Schulden zu finanzieren, die dann überschaubare 87 Prozent des BIP ausmachen würden). Stattdessen wird argumentativ in einem virtuellen Raum agiert, in dem die Logik der viel zitierten „schwäbischen Hausfrau“ zu Naturgesetzen mutiert ist. Selbst die dpa „interpretiert“ Informationen dabei so, dass sie passen. Die Euro-Krise ist eine Art Ego-Shooter für Politiker geworden, eine eigene Realität. In der echten Realität verdienen derweil Banken weiter Geld mit Geschäften, deren Risiko der Steuerzahler trägt.

Die Frage ist: Ist das Absicht? Auf Seiten der Bundesregierung ganz sicher. Es ist nicht so, dass sie keine soziale Ader hätte: Sie dient immerhin als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für eine Reihe von Menschen, die ansonsten schwer vermittelbar wären. Philipp Rösler ist ja nicht einfach nur nicht ministrabel, um von Dirk Niebel und Rainer Brüderle mal gar nicht erst anzufangen. Das Beste, was man über Guido Westerwelle sagen kann ist, dass man wenig von ihm hört. Ironischerweise ist es diese FDP, die in der möglicherweise letzten Legislaturperiode ihres Bestehens den Schwenk von der antizyklischen, handelnden Bundesregierung in der Großen Koalition zur paralysierten, aber mit dem Mund prozyklischen Traumkoalition begründet hat. Es ist jene Fraktion, der die Bundeskanzlerin in einem besonders bizarren Moment versprochen hat, es gäbe keine gemeinsamen europäischen Anleihen, „so lange sie (Angela Merkel) lebe“. Da wäre es ein Geschenk, wenn tatsächlich eine derart prominent besetzte Riege wie die der INET ihren Kurs unterstützen würde, der so offensichtlich bisher nicht greift. Da ist es sogar verständlich, wenn sich die Bundesregierung in ihrer Antwort eher auf die erkennbar falsche dpa-Berichterstattung stützt, als auf den Text selbst. Es bleibt unethisch, aber verständlich ist es schon. Bleibt die Frage, warum dpa „interpretiert“ anstatt einfach zu berichten.

Es will mir kein einfacher Grund einfallen. Auch bei mehrmaligem Lesen ist es unmöglich, den Originaltext der INET-Task Force falsch zu verstehen – ganz besonders für jemanden, der das, anders als ich, hauptberuflich macht und wahrscheinlich noch viel mehr mit den Positionen der Unterzeichner vertraut ist. Man muss ihn schon unbedingt falsch verstehen wollen. Und dafür fallen mir wiederum nur zwei mögliche Gründe ein: Entweder man ist so gehirngewaschen, dass man widersprechende Positionen nicht mehr bemerkt – was für einen Journalisten hieße, er wäre berufsunfähig. Oder man will jemandem einen Gefallen tun. Dann gilt das mit der Berufsunfähigkeit umso mehr.

Ich weiß, das sind viele Buchstaben für ein vermeintlich kleines Beispiel. Aber es ist nicht klein. Es zeigt, wie Europa von Regierungen an die Wand gefahren wird, die ihre falschen Vorstellungen von der Welt mit falschen „Fakten“ untermauern, assistiert von unfähigen oder willfährigen Journalisten, und die sich mit ihren Erklärungen inzwischen so weit von der Realität entfernt haben, dass sie in einer virtuellen Welt agieren müssen, damit ihr Handeln noch irgendeinen Sinn ergibt.

Man ist, sagt Batman, was man tut. Die Vorgängerregierung hatte unter derselben Kanzlerin für Deutschland einen vernünftigen Weg gefunden. Seitdem redet sie aber (in einer anderen Koalition) überzeugt vom Gegenteil, selbst wenn sie dabei wie in diesem Beispiel die Wahrheit um 180 Grad drehen muss – und tut ansonsten am liebsten gar nichts.

In dieser Euro-Krise ist unfassbar viel falsch berichtet worden. Immer wieder argumentieren selbst Minister oder die Bundeskanzlerin öffentlich mit falschen Zahlen – um nicht zu sagen: auf der Grundlage von Vorurteilen. Und suchen Schuldige, wenn sich die Realität nicht ihren Vorurteilen fügt.

Wo ist dieser Batman, wenn man ihn mal braucht?

Crosspost von Michalis Pantelouris
 

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